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"Denoech emoel..." man weiß, daß es einmal soweit sein wird, aber glaubt
doch, daß es einen selbst, die eigene Familie und nächste Freunde nicht
trifft; zumindest nicht so schnell und schon gar nicht mitten im Leben und
Schaffen. Wilhelm Staudacher tot? Er? Es ist so! Unabänderlich, schmerzlich
die Sprache, die er so meisterlich beherrscht hat, verstummt "...wenn
die Luft oufängt zu schloefe..." Seinen Freunden versagen die Worte.
Wer ordnet die Gedanken, die jetzt über alle, die ihm nahestanden,
hereinbrechen: aufwühlend, zweifelnd und fragend. Ohnmächtig ausgeliefert.
Wollte man sich nicht in den nächsten Tagen mit ihm zusammensetzen zum Pläne
schmieden, Philosophieren, einfach zum Reden? Aber da waren die Termine,
man glaubte ja noch viel Zeit zu haben...
Jedes Gespräch mit Wilhelm Staudacher war ein Gewinn. Er hörte zu und er
wußte zu erzählen, oft sprudelte es nur so aus ihm heraus. Oberflächlichkeit
war ihm fremd, nicht nur seine geschriebenen Worte und Sätze hatten Tiefe.
Nichts ließ ihn kalt. Die Ungerechtigkeit in der Welt, die Umweltzerstörung,
der Krieg in Bosnien, Haß und Gewalt, zuletzt die Verwüstungen, die der
Orkan in seiner geliebten Heimatstadt angerichtet hatte, raubten ihm den
Schlaf.
"Gejcherejd" heißt sein 1988 erschienener Gedichtband (einer unter vielen)
die "Gejcherejd" war für Staudacher Lebenshaltung. Er führte sie nicht
marktschreierisch, eher leise, häufig hintergründig, aber (vor allem im
Dialekt) treffsicher und nachhaltig. Es war die Rede gegen den Kleingeist,
gegen soziale Verwerfungen in der Gesellschaft, gegen Duckmäusertum und
Intoleranz ein Plädoyer für die Menschlichkeit im Umgang miteinander. Und
er selbst gab im Denken, Sprechen, Handeln und Schreiben das Beispiel.
Sein einfühlsames Wesen, seine ganze Wärme wird spürbar in den
"Großvatergedichten". Zuhause in der Familie und in seiner Heimatstadt
fühlte er sich geborgen, hier ist seine schöpferische Kraft verwurzelt,
wobei ihm seine Frau Alice, die seine Bücher mit ihren kunstvollen
Scherenschnitten bereicherte, mehr war, als eine fürsorgende Gattin war.
Am 16. März 1928 ist Wilhelm Staudacher in einer Rothenburger
Arbeiterfamilie als erstes von acht Kindern zur Welt gekommen. Die Armut,
der Krieg, die Zerstörung und der Wiederaufbau haben ihn geprägt. 1951 trat
er erstmals mit einem Buch an die Öffentlichkeit, sein großer
literarisch-lyrischer Weg begann in den sechziger Jahren. Max von der Grün
sagte einmal, durch Staudacher zeige sich, "daß die Mundartdichtung nicht
ein Anhängsel der Literatur, sondern gar ein wesentlicher Bestandteil ist."
Er hat sich bald im gesamten deutschsprachigen Raum Gehör und Anerkennung
verschafft. Durch ihn wurde die moderne, literarische Mundart in Franken
begründet. So steht es in der Urkunde zum Friedrich-Baur-Preis, der ihm Ende
1994 verliehen worden war. Zur Mundartlyrik kommt die Prosa, kommen Gedichte
in Schriftsprache, viele (auch in andere Dialekte übersetzte)
Rundfunk-Hörspiele, die Volksoper, ein Singspiel und zahllose Beiträge in
Publikationen.
Staudacher war Mitglied im P.E.N. und in der KOGGE, Gründungsmitglied im
Internationalen Dialektinstitut Wien. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, erst
jüngst kam sein Stück auf den ersten Platz bei den fränkischen
Theatertagen.
Die Stadt hat ihm für 48 Jahre Dienst, davon 20 Jahre als Kämmerer zu
danken. "Wos wills'd denn mache, du mußt halt doe sei!" war seine
Grundhaltung. In der Feuilleton-Redaktion des Fränkischen Anzeigers war er
zusammen mit Bernd Doerdelmann treibende Kraft. Viel wurde damals bewegt,
der fränkisch-hohenlohische Kulturkreis gegründet, Künstler und Politiker
über die Landesgrenze hinweg zum Dialog angeregt.
Der Autor Horst Krüger über Staudachers Werke: "Die Seele der Stadt ist zu
hören innerlich!" So war er: in Rothenburg, dem seine letzte Sorge galt,
verwurzelt und doch weit über die Mauern hinausblickend, manchmal am
Zustand dieser Welt verzweifelnd, um ihr zugleich neue Hoffnung zu geben.
Er wird weiter leben in seinen Gedichten, Erzählungen, Hörspielen und
Theaterstücken. Vor allem aber in guten Gesprächen seiner Freunde, denen
nur noch ein Dankeschön bleibt.
ROLF DIBA
Fränkischer Anzeiger, 19.7.1995
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Foto: © ROLF DIBA
rubrik lyrik
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